Die Stadtverfassung von Marienburg
(nach: Marienburger Heimatbuch, herausgegeben von der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft Marienburger Lehrer und Lehrerinnen, Marienburg, 1926)
(Jürgen Gottschewski, 2003)
Über diese Zeit liegen „Handfesten“ und „Willküren“[1] vor, schriftlich niedergelegte Verfassungen, welche die Bestimmungen über Bürgerrecht, Handel und Gewerbe, Polizei usw. enthielten. Danach wurde der Schultheiß, er war Verwaltungsbeamter und Richter zugleich, anfänglich wahrscheinlich vom Orden ernannt. Die Ämter des Stadtoberhauptes und des Stadtrichters lagen also in einer Hand.
In gewissen Angelegenheiten hatte jedoch schon in dieser Zeit die Gemeinde, also die Bürgerschaft, ein Mitbestimmungsrecht.
An die Stelle des ernannten Stadtoberhauptes trat ein von der Bürgerschaft gewähltes Verwaltungskollegium, der „E. E. Rat“[2], der jedoch immer noch vom Orden bestätigt wurde. Dieser Rat hatte die Aufgabe
Ursprünglich wurde der Rat von der Bürgerschaft[3] gewählt, später wählte der Rat sich seine Mitglieder selber aus einer kleinen Zahl von reichen und angesehenen Familien, wenn eine Stelle im Magistrat frei wurde. Eigentlich erfolgte die Wahl jeweils für ein Jahr, aber durch Wiederwahl war das Amt eines Ratsmitglieds meist lebenslänglich. Dies war auch für die Ratsmitglieder erstrebenswert, weil mit dem Amt verhältnismäßig hohe Einkünfte verbunden waren, auf die natürlich niemand gerne verzichtete, und weil der Rat seine Macht gegenüber der Bürgerschaft teilweise in rücksichtsloser Weise ausnützte. Der Rat bestand aus zwölf Mitgliedern, einer davon war der Bürgermeister, sein Vertreter war der Kumpan. Später gab es vier Bürgermeister.
In der polnischen Zeit verzichtete die Regierung auf die Bestätigung des Rates, es musste nur ein Vertreter bei der Wahl anwesend sein, meist der Starost[4].
Der Rat bildete einzelne Ausschüsse, Angelegenheiten des Polizeiwesens, des Handwerks, der Kirchen-, Schul-, Hospital-, kleinen Ehe- und Tumultsachen war jedoch der gesamte Rat zuständig. Sitzungen wurden je nach Bedarf abgehalten. Protokoll wurde vom Stadtschreiber[5] geführt, der juristisch vorgebildet sein musste, auf Lebenszeit gewählt wurde und ordentliches Mitglied des Magistrats war. Auch die zwei Stadtkämmerer gehörten zum Magistrat; ihre Aufgaben waren
Um das Jahr 1700 herum erhielt neben dem Rat auch die Bürgerschaft einen Anteil an der Verwaltung der Stadt. Jetzt wurde die Vertretung der Bürgerschaft vom Rat auf Lebenszeit gewählt, darum war sie von ihm in gewisser Weise abhängig. In Marienburg setzte sie sich zusammen aus
Sie wurde „Repräsentierende Gemeinde“ oder auch „Dritte Ordnung“ genannt und wurde herangezogen bei der Besetzung der Pfarrstellen, später hatte sie auch mitzubestimmen bei der Bewilligung größerer Geldmittel, der Annahme von Darlehen und der Veräußerung städtischen Eigentums.
Frühzeitig hatten auch die Gerichte (Schöffenkollegien) einen Anteil an der Verwaltung der Stadt, so dass jetzt also drei Ordnungen regierten:
Die gemeinsamen Sitzungen der drei Ordnungen fanden in der Regel monatlich statt.
Im Rahmen der Reformen in Preußen (Stein[7] - Hardenberg[8]) wurde von Friedrich Wilhelm III[9] die Stadtverfassung neu geregelt. Sie sicherte der Bürgerschaft den größten Anteil an der Verwaltung der Stadt. Die städtischen Körperschaften waren
Die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung erfolgte nach Grundsätzen der Verhältniswahl in allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen von der deutschen volljährigen Bevölkerung, die mindestens sechs Monate im Stadtbezirk gewohnt haben mussten und im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sein mussten. Wählbar war man mit 25 Jahren, in Marienburg wurden 29 Stadtverordnete gewählt. Ein Stadtverordnetenvorsteher leitete die meist öffentlichen Sitzungen. Die Stadtverordnetenversammlung hatte
Der Magistrat setzte sich zusammen aus dem Ersten und Zweiten Bürgermeister, dem Stadtbaurat, dem Stadtsyndikus sowie neun unbesoldeten Stadträten. Der Bürgermeister leitete den Magistrat, seine Wahl erfolgte für zwölf Jahre. Die nächste vorgesetzte Stelle des Magistrats war der Regierungspräsident.
Jeder, der die Absicht hatte, in der Stadt „seine Nahrung zu gewinnen mit Kauf und Verkauf, mit Brauwerk oder anderer Hantierung, oder ein Erbe zu kaufen“, musste erst das Bürgerrecht gewinnen. Ein Fremder erhielt es nur, wenn er „gute Briefe und Kundschaft seiner Geburt“ brachte. Während vorher das Bürgerrecht an jeden verliehen werden konnte, unabhängig von seiner Volkszugehörigkeit, hieß es nun: „Man soll fürbaß mehr in zukünftigen Zeiten keinem Preußen[10] und Nichtdeutschen Bürgerrecht geben.“
Wohl, weil man sich nicht mehr so sehr um die alten Bestimmungen kümmerte, wurde jetzt bestimmt: „Kein Undeutscher und der nicht deutscher Art und Zunge ist, soll hinfüro zum Bürger genommen werden, noch das Bürgerrecht zu genießen haben.“ Jeder, der das Bürgerrecht erlangen wollte, musste mit Waffen auf dem Rathaus erscheinen und erklären, dass diese sein Eigentum waren; er musste auch seine eheliche Geburt nachweisen. Jeder Fremde, der nicht in der Stadt gefreit hatte, also (meist die Witwe eines Bürgers) in der Stadt geheiratet hatte, musste ein Bürgergeld von 100 Mark zahlen, nur wenn er wenig Vermögen hatte, konnte der Rat den Betrag ermäßigen. Jeder, der unabgemeldet die Stadt verließ und länger als ein Jahr fort blieb, verlor das Bürgerrecht; dies galt auch für jeden, der seinen Verpflichtungen gegenüber der Stadt nicht nachkam.
Bis dahin konnten nur Einwohner innerhalb der Stadtmauern das Bürgerrecht erwerben, nun mussten auch die Grundeigentümer in den Vorstädten das Bürgerrecht erwerben. Weil es den Mittellosen schwer fallen konnte, die Kosten aufzubringen, weigerte sich die Stadt, sie als Bürger aufzunehmen; immerhin bestand die Gefahr, dass sie bald der Stadtkasse zur Last fallen könnten. Nach längerem Hin und Her mit der Regierung wurde vereinbart, dass man niemand zur Erlangung des Bürgerrechts zwingen könnte, wenn er freiwillig darauf verzichtete. Mitkämpfer in den Freiheitskriegen[11] erhielten übrigens freies Bürgerrecht.
Seit 1853 war die Erlangung des Bürgerrechts nicht mehr von der Aufnahme von städtischen Körperschaften abhängig, Bürgerbrief und Bürgereid wurden abgeschafft. Die Gewinnung des Bürgerrechts war nur noch abhängig von der Aufenthaltsdauer, es wurde jedoch ein Einzugs- und Hausstandsgeld erhoben. Das Einzugsgeld betrug in Marienburg ursprünglich zehn Taler, 1860 wurde es aber auf drei Taler ermäßigt; Geistliche, Lehrer, Beamte sowie Dienstboten und Gesellen waren davon befreit. Wer einen eigenen Hausstand begründete, musste das Hausstandsgeld zahlen, das vom Vermögen abhängig war und zwanzig bzw. acht Taler betrug, 1867 aber abgeschafft wurde.
Als Bürger der Stadt genossen die Einwohner den Schutz der Stadt: Leben, Gesundheit, Eigentum und Gewerbe wurden garantiert. Das ging so weit, dass es in den Vorstädten Marienburgs verboten war, ein Handwerk oder Gewerbe auszuüben, es galt eine „Bannmeile“.
Zu den Pflichten gehörte neben der Leistung von Zinsen auch die Wehrpflicht. Jeder Bürger musste Harnisch und Waffen besitzen. Als das stehende Heer eingerichtet wurde, blieb als Verpflichtung noch der Wachdienst, für den auch Witwen als Hausbesitzer noch zu sorgen hatten, aber einen Vertreter stellen konnten. Später wurde die Vertretungsmöglichkeit wieder abgeschafft, und nur Geistliche, Lehrer und Ärzte waren vom Wachdienst befreit, wenn sie einen Vertreter stellten oder Geld dafür bezahlten.
Weitere Pflichten waren das Erbringen von Hand- und Spanndiensten bei der Befestigung der Stadt, beim Wegebau, beim Feuerlöschdienst usw.
3 Gerichtsbarkeit
In der ersten Zeit der Ordenssiedlungen lag die Gerichtsbarkeit in den Händen des Schulzen (= Schultheiß), der ein Drittel der Geldbußen bekam, bei kleineren mehr. Das Amt war vererbbar, recht bedeutend und dementsprechend begehrt. Die Gerichtsbarkeit des Schultheißen erstreckte sich aber nur auf die deutsche Bevölkerung, Preußen, Polen und Wenden unterstanden der Gerichtsbarkeit des Ordens.
In den Städten riss die Stadtobrigkeit die Gerichtsbarkeit und damit die Einkünfte an sich. Die Rechtsprechung war geteilt zwischen dem Rat und dem Schöffenkollegium, das aus den sieben „Ratsverwandten“ bestand, die vom Rat auf unbestimmte Zeit gewählt wurden und sich aus der gesamten Bürgerschaft rekrutierten. Zivil-, Kriminal- und Hypothekensachen gehörten vor dieses Schöffengericht, während alle Polizei-, Waisen- und Handwerkssachen vom Rat verhandelt wurden. Eine genaue Abgrenzung war nicht immer möglich, so kam es oft zwischen Rat und Schöffen zum Streit. 1655 heißt es in einem Ratsprotokoll: „Nachdem zwischen E. E. Rate und E. E. Gerichte Differenzen erwachsen, haben beide Kollegia zu Abhaltung dessen und zur Stiftung richtiger Ordnung sich über folgende Punkte geeinigt: ...“
Nach einer Waisenordnung von 1675 gab es ein Waisen- und Vormundschaftgericht, das aus dem Vizepräsidenten und vier Personen bestand, die dem Rat entnommen wurden. Unter Vormundschaft standen alle Personen unter 21 Jahren, alle ledigen Personen weiblichen Geschlechts sowie „Wahnwitzige, Taubstumme und diejenigen, so ihre Güter nutzlos verbringen.“
Über „Handels-, besonders Markt-, Brau-, Bau-, Feuer-, Straßen und andere Willkürsachen“ entschied ein besonderes Gericht, die „Wette“[12], die sich aus je zwei Mitgliedern des Rates und des Gerichts sowie aus vier Mitgliedern der „Dritten Ordnung“ zusammensetzte und vom Rat vollkommen unabhängig war.
Die Rechtsprechung in den dem Rat zustehenden Rechtssachen hatte der Stadtrichter, auch bei schweren Kriminalfällen im Schöffengericht führte er den Vorsitz. Außerdem gab es noch den Gerichtsschreiber, der gleichzeitig Stadtsekretär war, und den Vollziehungsbeamten, Gerichtsdiener oder „Büttel“, der nach seiner Inanspruchnahme bezahlt wurde, er erhielt „Akzidentia“.
Die Strafen waren scharf. Bei Geldbußen erhielt das Schöffen- bzw. Ratkollegium ein Drittel. Viele Vergehen, z. B. Angriffe und Verwundungen der Stadtdiener oder Stadtwächter, wurden nach dem Kulmischen Recht mit dem Tode bestraft; bei Marienburg standen zwei Galgen. Um jedem Stand die ihm zukommende Ehre zu gewährleisten, gab es unterschiedliche Gefängnisse: das Kriminalgefängnis zwischen den beiden Marientoren, den vorstädtischen Turm, den „Bürgerlichen Gehorsam“, den Gesindeturm, den Gesellenturm und die beiden Holzkammern, in denen Holz aufbewahrt wurde, wenn sie frei waren.
1772 wurde in den Städten ein besonderer Justizbürgermeister eingesetzt, die Schöffengerichte wurden aufgehoben, die gesamte Rechtsprechung übernahm der Magistrat. Es gab keine übergeordnete Instanz, nur Urteile für schwere Vergehen, wie Mord und Totschlag, Fahnenflucht und Majestätsverbrechen mussten der Regierung in Marienwerder zur Bestätigung vorgelegt werden. 1773 entstand in Marienburg das „Großwerdervogteigericht“, das 1821 zur „Verbilligung und Verbesserung der Rechtspflege“ mit dem Land- und Stadtgericht vereinigt wurde. Dieses war um 1800 herum aus der Vereinigung des Marienburger Stadtgerichts mit dem des Marienburger Domänenamts entstanden.
Mit der Einführung der Städteordnung ging die Gerichtsbarkeit der Städte verloren, die Rechtsprechung wurde nur noch im Namen des Königs ausgeübt. 1848 kam die öffentliche Gerichtsverhandlung. Marienburg erhielt ein Kreisgericht, 1879 wurden diese aufgehoben, und Marienburg bekam nur ein Amtsgericht, das Landgericht kam nach Elbing.
Jede Stadt hatte ihre eigenen Polizeiorgane: Die Ausführung und Beachtung der vom Magistrat erlassenen Vorschriften wurden überwacht von den Stadtwächtern. Im Allgemeinen ging es dabei um die folgenden Punkte:
Besonders sorgfältig ausgearbeitet waren die Bestimmungen für den Fall eines Feuerausbruches. Jeder Bürger musste sich mit Löschgerät einfinden, Maurer und Zimmerleute sollten besonders schnell anwesend sein. 1740 wurde eine „Feuerordnung königlicher Stadt Marienburg“ erlassen, mit der das gesamte Feuerlöschwesen den „Feuerherren“ übertragen wurde. Sie überprüften die Feuerlöschgeräte der Bürger und der Stadt und berichteten dem Rat, der die Säumigen zur Verantwortung zog.
1779 wurde folgende Anordnung erlassen: „Es muss darauf gehalten werden, daß niemand mit brennender Tabakspfeife über die Straßen gehe, sondern es müssen die Polizeibeamten nach vorheriger Verwarnung ohne Unterschied die Pfeifen wegnehmen und die Kontravenienten zu Bestrafung gezogen werden.“
Da die meisten Gebäude zu dieser Zeit aus Holz gebaut und mit Stroh oder Schindeln gedeckt waren, hatten die strengen Regeln ihre Begründung. Große Brandkatastrophen konnten so in Marienburg verhindert werden.
Der Rat achtete auch auf die Sauberkeit in der Stadt, jeden Sonnabend mussten die Bürger die Gassen vor und hinter ihrem Haus reinigen. Sämtlicher Mist musste vor die Tore der Stadt gefahren werden. Das Mästen von Schweinen war nur sehr begrenzt gestattet, und manche Arbeiten, z. B. Verrichtungen der Gerber, durften nur vor der Stadt ausgeübt werden.
Die Preise für Lebensmittel wurden überwacht, wobei die Regel galt, dass erst die Bürger der Stadt versorgt werden mussten, dann konnten Fremde in der Stadt Lebensmittel kaufen. Der Markt wurde von dem „Wettediener“ überwacht.
Um gesittetes und züchtiges Verhalten der Stadteingesessenen zu gewährleisten, bestanden Vorschriften über Sonntagsheiligung, Kindtaufen, Verlöbnis usw., auch die Kleiderordnung und der Gebrauch von Luxusgütern wurden überwacht.
5 Das Handwerk
Alle Handwerksmeister des selben Gewerkes sollten unter gleichen Bedingungen arbeiten. Darum waren
gleichmäßig geregelt, und die Einhaltung der Regelungen wurde von den Vorstehern und den beiden Älterleuten der Zünfte überwacht. Die Zünfte waren mit dem Recht der Selbstverwaltung ausgestattet und führten als Zeichen hierfür Lade und Siegel. Der Rat führte eine Aufsicht über die Innungen aus, indem er jeweils einen Vertreter für jede Zunft zu den Sitzungen entsandte.
In Marienburg gab es um 1772 (bei der Einverleibung Westpreußens in Preußen) die folgenden Werke:
Lehrlinge wurden erst auf Probe, nach zwei bis vier Wochen endgültig angenommen. Sie mussten ihre ehrliche Geburt nachweisen. Söhne von Vögten, Schäfern, Stadtdienern und Wächtern waren nicht ehrlich, ebenso alle Nichtdeutschen; sie wurden nicht angenommen. Der Meister erhielt bei der Einschreibung Bier, mehrere Pfund Wachs und ein Einschreibegeld vom Lehrling.
Nach der Lehrzeit wurde der Lehrling zu einem „ehrlichen“ Gesellen und musste auf Wanderschaft gehen.
Die Gewinnung des Meistertitels war außerordentlich schwierig. Es mussten die Geburts- und Gesellenbriefe vorgelegt werden, die ordnungsgemäße Wanderung musste nachgewiesen werden, dabei wurde die ordentliche Führung überprüft. Dann wurde er zum „Mutsjahr“ zugelassen, d. h. er musste gegen den üblichen Lohn bei einem erfahrenen Meister ein Jahr lang arbeiten, und dieser hatte die Pflicht zu prüfen, ob „er das Handwerk versteht und als Meister bestehen könne.“ Nach diesem Jahr musste er in der Werkstatt eines der Älterleute sein Meisterstück fertigen. Wenn dies gelungen war, baten die Meister den Rat um Verleihung des Bürgerrechts an den Jungmeister, erst dann wurde er richtiger Meister und vollgültiges Mitglied der Innung.
Söhne, Schwiegersöhne und Witwen der vorhandenen Meister hatten Erleichterungen und Vorteile beim Eintritt in die Innungen, denn das Handwerk sollte vor allen Dingen seinen Angehörigen offen gehalten werde. „Stirbt ein Meister, soll das Werk der Witwe Jahr und Tag aufgehalten bleiben, es zu betreiben; verändert sie sich dann nicht, soll ihr das Handwerk gelegt werden.“
Die Satzung bestimmte: „Wie es überall gebräuchlich ist, soll der Geselle morgens um Seiger vier aufstehen und zu Abend um neune Feierabend machen. Danach wird sich jeder der Gebühr nach des Winters und Sommers gegen seinen Meister wissen wohlzuhalten.“ Blaumontag wurde nicht geduldet. Die Gesellen aßen und schliefen bei ihrem Meister. Verließ ein Geselle seine Arbeitsstätte, ohne 14 Tage vorher gekündigt zu haben, musste er die Stadt verlassen; bei einem anderen Meister durfte er nicht mehr beschäftigt werden.
Das Brauwesen unterlag nicht dem Zunftzwang, sondern war eine Gerechtsame[13], die zum Haus und dem Grundbesitz außerhalb der Stadtmauern gehörte. In Marienburg gab es 137 Brauberechtigte, wobei das Maß der Brauberechtigung nach der Größe des Landbesitzes abgestuft war. Durch den Fremdenverkehr in der Stadt - viel „Ordensgesinde“ hielt sich dort auf - ging das Braugeschäft sehr gut, und einige Bürgerfamilien erlangten dadurch eine gewisse Wohlhabenheit. Bier von auswärts war in der Stadt entweder gar nicht zugelassen, oder es mussten hohe Abgaben an den Stadtsäckel dafür bezahlt werden.
Der Bierpreis richtete sich im Allgemeinen nach dem Getreidepreis und wurde vom Magistrat festgesetzt. Gebraut wurde in eigens dazu errichteten Brauhäusern, die der Stadt gehörten.
Unter der polnischen Herrschaft gingen die Städte des alleinigen Braubetriebes zu Verkaufszwecken verlustig. Die Kruginhaber mussten ihr Bier von den königlichen Brauhäusern beziehen, und die Städter fanden für ihr Bier nicht genügend Absatz. 1810 wurde die allgemeine Gewerbefreiheit eingeführt, 1811 jedoch wurde das Krugsverlagsrecht wieder eingeführt, die Kruginhaber auf dem Lande mussten ihr Bier aus Marienburg beziehen. Diese Regelung verlor sich später allmählich.
Um die Verteidigung der Stadt zu gewährleisten, sah es schon der Orden gerne, wenn die Bürger sich im Gebrauch der Armbrust und der Feuerwaffen übten. Der Schützenkönig, der jedes Jahr durch das Vogelschießen bestimmt wurde, war von Abgaben und Diensten befreit. In Marienburg war im Graben vor dem Marientor ein „Schießhaus“ errichtet worden, dessen oberen Saal man auch für Festlichkeiten vermieten konnte. 1807 in der Zeit der französischen Besetzung, wurde dies abgebrochen und erst 1822 wurde ein neues Haus dafür gebaut.
Der Orden hatte in Marienburg drei Hospitäler gegründet: das Heilige-Geist-, das Jerusalem- und das St.-Georg-Hospital. Das erste blieb den katholischen Bewohnern der Stadt vorbehalten, das zweite diente seit der Reformation den Protestanten, das St.-Georg-Hospital wurde als Waisenhaus benutzt, bis an seiner Stelle die St.-Georg-Kirche erbaut wurde.
Von der Stadt wurde einer der Ärzte der Stadt mit der Wahrnehmung des städtischen Gesundheitswesens beauftragt, der Stadtphysikus. Aber auch Bader, Schäfer und Scharfrichter beschäftigten sich als Kurpfuscher - oder Heilpraktiker, wie man sie heute bezeichnen würde - mit der Ausübung ärztlicher Kunst.
1710 gab es in Marienburg bereits drei Apotheken, die außer dem Alleinverkauf von Medizin auch den von Tee, Kaffee, holländischem Tabak, Zucker, Papier, Sirup, Rosinen, Korinthen und Feigen besorgten. Der Apotheker musste alle Rezepte selbst herstellen oder durfte nur einen erfahrenen Gehilfen damit beauftragen; auch an Sonn- und Feiertagen und nachts musste jemand anwesend sein. Der Rat durfte die Apotheken von Zeit zu Zeit durch einen Arzt überprüfen lassen.
Nach 1772 wurde das Gesundheitswesen für ganz Westpreußen einheitlich geregelt, 1779 das „collegium medicinae“ in Marienwerder eingerichtet.